von
Verdandi
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23.11.2020, 0:43
Man muss das Rad nicht immerzu neu erfinden. Aus gegebenem Anlass zitiere ich mich daher heute mal selbst:
Jeder lebt in den für ihn selbst relevanten Vorstellungen, die aber idealerweise Andockstellen und Quarantänestationen für die Vorstellungen aus anderen Quellen haben, um in den eigenen geistigen Fischgründen kein Brackwasser entstehen zu lassen.
Das verbindende und zugleich trennende Element ist die Sprache, aus deren Fundus sich jeder, der etwas in Worten ausdrücken will, bedienen muss. Der Bedeutungscharakter der verwendeten Sprachelemente obliegt dann wieder der Hoheitsgewalt des jeweiligen Nutzers, der am besten gleich Interpretationshilfen mitliefert, um möglichst in der Weise verstanden zu werden, wie er verstanden werden möchte.
Inwieweit sich nun jemand tatsächlich bemühen sollte, verstanden zu werden, hängt natürlich entscheidend davon ab, welchem vordringlichen Zweck folgend er seine Vorstellungen formuliert. Ist es ein originärer Zweck, so dass der Autor zunächst nur sich selbst verpflichtet ist, kommt es vorrangig darauf an, ein systematisch geordnetes, in sich schlüssiges Gedankengebäude zumindest in einer ersten abgeschlossenen Version zu erschaffen – und zwar in dem Grad der Ausformulierung, der dem eigenen Anspruch gerecht werden kann.
Anderen, weniger oder nicht originären Zwecken folgend, wäre ein auftragsgebundener Beitrag zu einem Gesamtprojekt, an dem sich auch andere in gleicher Weise beteiligen. Hier wird von Anfang an eine Vermittlung zwischen eigener Intention und dem Zweck der Publikation erforderlich sein. Soll das eigene Werk für sich publiziert werden, muss immerhin das fachliche oder / und wirtschaftliche Interesse des Verlages und dann eine möglichst innige Verständigung mit dem Lektor angestrebt werden, um sich das Leben nicht unnötig zu erschweren.
Last but not least hängt man als Autor natürlich am Tropf der zahlenden Leserschaft. – Wie gering oder weit gesteckt damit verbundene Erwartungen sind, hängt von der Art des Materials ab, ein Stephen King - Roman verkauft sich natürlich besser, als eine philosophische Abhandlung – es sei denn, der Autor heißt Precht und das Material ist schön populär gehalten.
In einem nicht berufs- bzw. geschäftsmäßigen, sondern privaten Betätigungsbereich, wie zum Beispiel in einem Forum wie diesem hier, kommt es natürlich nicht so sehr darauf an, sich vor Erstellung und Veröffentlichung eines Beitrages genaue Vorstellungen über den Zweck und eine möglicherweise interessierte Zielgruppe dieses Tuns zu entwickeln. Dennoch kann es sehr hilfreich sein, um Entscheidungen im Hinblick auf die möglichen Folgen bewusst treffen zu können.
Den ganzen Bereich „Chatten und Smalltalk“ (ob nun freundlich oder fetzig) lasse ich hier mal aus, um bald zum Bereich eines möglichst ambitioniertere Austauschs zu kommen, denn immerhin befinden wir uns hier in einem Philosophie-Forum.
Damit ist schon mal etwas klar gestellt:
Die Bedürfnisse all derjenigen, die den Anspruch darauf erheben, alles leicht verständlich und möglichst kurzweilig für den schnellen Lesegenuss aufbereitet zu bekommen, müssen nicht bedient werden. Ihnen stehen für ihre Zwecke in der Regel bereits zig andere Foren zur Verfügung.
Niemand, der hier ernsthaft schreiben will, muss sich ihrem penetranten Genörgel aussetzen, oder sich ihnen gegenüber gar rechtfertigen. Im Gegenteil, das wäre sehr unklug, denn die Versuche, sich den Betreffenden (die nicht selten sogar noch stolz darauf insistieren „mit Philosophie nichts am Hut“ zu haben) dennoch verständlich zu machen, scheitern meist krachend. Zu blöd dann, erst am Ende zu erkennen, dass es den anderen gar nicht um den Text ging, sondern nur darum, den Autor zu beschädigen.
Da hier also eine ernsthafte Vermittlung der eigenen Sprache gar nicht anliegt, muss auch nicht hierauf abgestellt werden ... obwohl das Geschrei rundherum manchmal sehr laut sein kann. Ignorieren oder satirisch parieren – je nach (Un-) Lust und Laune – sind hier angebracht. Alles andere wäre bloß eine Verschwendung der eigenen Ressourcen.
Denkt man sich diesen Teil der Leserschaft weg, bleibt in Foren mit grundsätzlich anderen Schwerpunkten – wie z.B. hier die Suche nach einem Partner oder neuen Bekannten – allerdings nicht mehr viel übrig an potenzieller Leserschaft, zumindest den Anteil betreffend, der auch selbst Beiträge verfasst – mit dem man sich also tatsächlich austauschen könnte.
Aber das, worauf ich ursprünglich hinaus wollte, tritt oft erst an dieser Stelle ein: Da ist also ein anderer, mit dem ein ernsthafter Austausch grundsätzlich möglich scheint, so dass man tatsächlich damit beginnen kann, diesem anderen nun die eigene Vorstellungswelt zu vermitteln .... um aber bald frustriert konstatieren zu müssen, dass eine Verständigung trotz aller positiven Voraussetzungen, offenbar doch nicht möglich ist. – Woran liegt das bloß? ...frage ich mich dann.
Abgesehen von möglichen Nebengründen, die man nie ganz ausschließen kann, die über mancherlei – eher unbewusste – Umfeld- und Rollen-Prägungen ihre Ursachen haben dürften, wird die Hauptursache wohl in grundsätzlich unterschiedlichen Annahmen von all dem liegen, was der andere und ich für jeweils wahr halten. Aber auch Unterschiede auf der Metaebene: In der Art, neue Wahrnehmungen zu ermöglichen, diese zu behandeln und einzuordnen, ob ihre Bewertung flexibel und für mögliche Veränderungen offen gehalten wird oder nicht usw. bis hin zur Bereitschaft oder Nichtbereitschaft, ein einmal gewonnenes Bild von sich selbst und der Welt in Frage zu stellen.
Existieren zu große Abweichungen bei den grundlegenden Überzeugungen, wird die Sprache dazu benutzt, auf jeder Seite ein möglichst komplett in sich plausibles Weltbild zu erstellen, das sich besonders an den Stellen scharf von dem des anderen abgrenzt, die als stützende Pfeiler fungieren.
Was ich (zum Beispiel bei Richard Rorty) gelernt habe, ist folgendes:
An dieser kritischen Stelle der Konstatierung einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit hätte ich trotz der guten Rahmenbedingungen für eine potenzielle Verständigung bisher resigniert und aufgegeben (was tatsächlich schon oft der Fall war). Denn die mir andernfalls zwingend notwendig erscheinende aber äußerst unangenehme Analyse aller zu dieser Unvereinbarkeit führenden Ursachen und Faktoren würde niemand für sich zulassen.
Das diesbezügliche Abwehr-Vokabular ist es aber Wert, mal unter die Lupe genommen zu werden. Allerdings nicht, um es zu entlarven und außer Gefecht zu setzen, sondern – ganz im Gegenteil: Um es als sprachliche Manifestation für die derzeitige eigene Wirklichkeit zu nehmen und Neues darauf aufzubauen.
Nach meinem Weltbild bin ich schon sehr weit mit mir selbst gekommen. Im Zentrum steht der Mensch als Wanderer in der Wüste, der nicht mehr zurück möchte in die „blühenden Landschaften“. Der nicht „glücklich“ ist – nicht weil er traurig wäre, sondern weil er mit dem Begriff des Glücks nichts anzufangen weiß. Die „blühenden Landschaften“ sagen ihm ebenfalls nichts. Aber die Wüste ist wirklich: Unendliche Weite, Sand soweit das Auge reicht, plötzlich ein tosender Sturm, keine Sicht mehr vor Augen, Temperatursturz... und niemand anderes in der Nähe. Jetzt spüre ich mein Herz klopfen: Ich lebe – und wie!
Es ist völlig egal, ob das jetzt ein „richtiges“ Bild ist – es ist auf jeden Fall wahr. Es kann sich verändern, immer wieder aufs Neue ein mir wichtiges Anliegen symbolisieren. Und das ist dann auch wahr... Wichtig ist allein, ob ich mich aufgehoben fühle in meinem jeweiligen Bild. Je älter ich werde, desto weniger interessiere ich mich noch für materielle Dinge. Ich finde das sehr naheliegend. Und sehr spannend.
Wenn nun jemand anderes immer wieder darauf insistiert, dass meine Auffassung von Wirklichkeit, von Wahrheit und von „Richtigkeit“ nicht gerechtfertigt und objektiv betrachtet nicht zulässig sei, ist das irgendwie ärgerlich. Ich möchte ihm sagen:
Das, was ich erzähle, das handelt von mir. Das kann nicht falsch sein. Ich finde es schade, dass deine Wirklichkeit so sehr anders ist als meine. Aber mit der musst du leben; ich muss es nicht. Ich habe meine eigene.
Verdandi, 2019