von
Gundulabella
»
20.09.2012, 8:40
Kürzungen wegen Niedrigzinsen:
Freiberufler müssen um ihre Renten bangen
Deutschen Freiberuflern stehen drastische Einschnitte bei ihrer Altersvorsorge bevor: Die niedrigen Zinsen bringen die Versorgungswerke für Ärzte, Apotheker oder Anwälte in Finanznot. Manche stehen Experten zufolge sogar auf der Kippe.
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Ärzte, Apotheker, Anwälte und Steuerberater müssen sich auf drastische Kürzungen ihrer Altersvorsorge einstellen. Rund 800.000 Freiberuflern in Deutschland, die einer Kammer angehören, stehen nach Informationen des FTD-Schwestermagazins Capital Senkungen ihrer Renten bevor. Die rund 90 berufsständischen Versorgungswerke, die die Altersbezüge für die Freiberufler garantieren, haben aufgrund der niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt gravierende Finanzierungsprobleme.Kassen veröffentlichen keine Zahlen
Gerade mal 1,3 Prozent werfen deutsche Staatsanleihen derzeit noch ab, sie bilden traditionell den Grundstock der Vermögensanlagen. Wie die rund 90 Versorgungswerke, die etwa 125 Mrd. Euro verwalten, da noch ihre Leistungsversprechen einhalten wollen, bleibt deren Geheimnis.
Die Rentenkassen sind nicht verpflichtet, ihren Mitgliedern gegenüber Rechenschaft abzulegen. Sie werden weder von der Bundesbank noch der Finanzaufsicht kontrolliert. Dieses Schweigekartell macht Zahnärzte, Apotheker, Steuerberater und Anwälte zunehmend nervös. Mittlerweile schlagen auch immer mehr Experten, Insider und Mitglieder lautstark Alarm. Die finanzielle Lage mancher Versorgungswerke ist höchst prekär, so haben die Recherchen von Capital ergeben. Die erwirtschafteten Kapitalerträge sind vielerorts deutlich niedriger als einkalkuliert.Mehr zum Thema
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Hält die Niedrigzins-Phase an, können die Werke laut Versicherungs-Experten bald ihre Leistungsversprechen nicht mehr einhalten. "Nach meinen Informationen wackeln einige Versorgungswerke", sagte Anette Kramme, Renten-Expertin der SPD im Bundestag. Die Mitglieder müssten sich auf weit niedrigere Renten einstellen, prognostiziert der unabhängige Aktuar Peter Schramm.Noch kompensieren die berufsständischen Rentenkassen ihre Ertragsprobleme, indem sie bei den jungen Beitragsneulingen die Zinsen eindampfen. So können die Renten der Altmitglieder erst mal unangetastet bleiben.
Haftung bei Pleite völlig ungeklärt
"Die jüngeren Beitragszahler sind die ersten Verlierer", sagt Schramm. Sie würden herangezogen, um die Lücken bei den Rentnern zu stopfen. Klammheimlich findet bei den Versorgungswerken eine gigantische Umverteilung statt.
Eine ruinöse Strategie, die zu einer Zinserosion auf breiter Front führt, sobald die letzten Kapitalreserven aufgebraucht sind.
Dann, so die Prognose der Kritiker, gleichen die Erträge nicht einmal mehr die Inflation aus. Und die für die Mitglieder vielleicht schlechteste Nachricht: Eine staatliche Garantie für eingezahlte Beiträge gibt es nicht, auch wenn die Branche das glauben machen will.
Nach Capital-Recherchen ist in Deutschland die Haftungsfrage bei der Pleite eines Versorgungswerks rechtlich völlig ungeklärt. In einer Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages heißt es, die Frage, wer im Insolvenzfall für die Renten der Freiberufler aufkomme, sei "bisher nicht abschließend beantwortet worden".In der Schweiz fängt es schon an
Viele Aktuare erwarten über kurz oder lang drastische Leistungskürzungen und eine Absenkung des Rechnungszinses auf bestenfalls 1,75 Prozent - weniger als die Hälfte des jetzigen Satzes also.
Ein Blick in die Schweiz lässt erahnen, dass solche Einschnitte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Beratungsgesellschaft Complementa publiziert dort jährlich einen Bericht zur wirtschaftlichen Lage der Versorgungswerke. Die neuesten Ergebnisse: Rund jedes zehnte eidgenössische Werk befindet sich bereits in Unterdeckung und hat nicht mehr genügend Kapital, um die Leistungsversprechen aus eigener Kraft einzulösen.
Diese beunruhigenden Befunde sind größtenteils auf Deutschland übertragbar - von einem wichtigen Unterschied abgesehen: Der Schweizer Staat würde im Notfall für die Renten garantieren. In Deutschland ist das dagegen keineswegs ausgemacht.
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