von
dick01
»
16.06.2020, 13:26
Patriarch hat geschrieben: Mir geht es viel mehr um die – vielleicht aber doch eher im naturwissenschaftlich-philosophisch Bereich angesiedelte – Frage, ob hier eine „ewige Grenze“ für weitere naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn besteht.
„Will man Ort und Impuls (Masse x Geschwindigkeit) eines Teilchens beide möglichst genau bestimmen, so gerät man an eine physikalische Grenze, die von der Messapparatur oder dem Messverfahren unabhängig ist. An dieser Stelle existiert eine prinzipielle Grenze für die menschliche Erkenntnis.“
Wie „prinzipiell“ ist diese Grenze? Nach jetzigem Erkenntnisstand ist sie nicht zu überwenden – das würde gegen die uns bekannten Naturgesetze verstoßen. Aber ist es nicht paradox, dass ausgerechnet Naturgesetzte es verhindern, dass wir wissenschaftlich tiefer in die Geheimnisse der Natur eindringen können? Das ist es, was mich momentan etwas betroffen macht.
Ich kann eigentlich kein Erkenntnisproblem sehen.
Weshalb? Wenn ich ein korrektes mathematisch-physikalisches Modell eines (physikalischen) Systems habe, so ist doch das „Erkenntnisproblem“ gelöst. Inwieweit das Modell exakt auswertbar ist, ist m.E. nachrangig (bzgl. der „Erkenntnis“) und eher ein Messproblem.
Zunächst zwei Beispiele:
1. Kreis: Ein Kreis ist klar definiert. So ist z. B. Kreisfläche Pi x r^2. Dass ich Pi nie vollständig in einer Berechnung erhalte, ist kein Problem der Erkenntnis.
2. Dreikörperproblem
Die Bewegung dreier Körper kann ich durch entsprechende Differentialgleichungen vollständig beschreiben. Dass ich keine exakte Lösung angeben kann, sondern nur näherungsweise oder numerisch, ist kein Problem der Erkenntnis.
Aber zurück zur Quantenmechanik. Worin liegt das Problem der Unbestimmtheit bzw. der Heisenbergschen Unschärferelation und ist es eine Grenze der Erkenntnis?
Dazu kurz etwas zum Modell.
1. Ein quantenmechanisches System wird durch Zustandsvektoren in einem unitären Vektorraum (Hilbertraum) dargestellt. Diese enthalten die maximal mögliche Information über ein System. Es gilt also insbesondere das Superpositionsprinzip: Zustandsvektoren können linear überlagert werden zu einem neuen Zustandsvektor.
2. Jeder dynamischen Variablen (messbare Größe) ist ein selbstadjungierter Operator (eine Observable) zugeordnet. Der Zustandsraum wird von den Eigenvektoren eines vollständigen Satzes kommutierender Observablen aufgespannt.
3. Die einzig möglichen Werte (Messwerte) einer dynamischen Variablen sind die Eigenwerte der zugeordneten Observablen.
4. Ein konkreter Zustand wird durch einen ” statistischen Operator“ beschrieben. Zwei Zustände sind identisch, wenn sie durch denselben statistischen Operator beschrieben werden (d.h., alle Erwartungswerte physikalisch messbarer Größen sind identisch)
Der Zustand des Systems ist zunächst eine Überlagerung der „Eigenzustände“. (Wer Matrizen kennt: Zu den Eigenwerten gehören bestimmte Eigenvektoren, diese spannen den Hilbertraum auf d.h. jeder Vektor lässt sich als Summe dieser Eigenvektoren darstellen. Beispiel Katze: Die Katze ist im Zustand „lebendig“ und im Zustand „tot“ jeweils mit Wahrscheinlichkeit ½; wenn ich jetzt die Tür öffne (messe), ergibt sich ein Zustand).
Was geschieht nun bei einer Messung? Bei einer Messung wird der Zustand auf einen Eigenraum projiziert d.h. nach der Messung befindet sich das System in einem Eigenzustand. (Allerdings ergibt nicht jede Messung eines Zustandes immer den gleichen Wert, sondern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit.) Dieses Phänomen bezeichnet man mitunter auch als Zustandsreduktion oder Kollaps der Wellenfunktion durch den Messprozess. Der Messprozess stellt daher einen Eingriff in das System dar, der dessen Zustand verändert. Man koppelt das System quasi an das Messsystem bzw. „den Beobachter“.
Was geschieht, wenn ich zwei Messungen A und B anwende?
- Sind die Observablen verträglich bzw. die Operatoren vertauschbar, so hat das System einen gemeinsamen Satz von Eigenvektoren/Eigenwerten, den ich „exakt“ d.h. Varianz = 0 messen kann.
- Sind die Observablen nicht verträglich also AB –BA nicht = 0, besitzen also keinen gemeinsamen Satz an Eigenvektoren, so kann ich das System nicht vollständig „reduzieren“, also hat A oder B oder beide eine Varianz bzw. Unschärfe.
Falls nun A den Ort bezeichnet und B den Impuls, so gilt AB – BA ist ein Vielfaches der Identität, also niemals = 0. Woraus folgt, dass wir beide nicht gleichzeitig exakt messen können (Unbestimmtheitsrelation). Das gilt im Übrigen auch für Energie und Zeit.
Was bedeutet das für die „Erkenntnis“? Wir verfügen über ein mathematisch-physikalisches Modell, mit dem wir quantenmechanische Systeme vollständig und korrekt beschreiben können. Aus meiner Sicht ist das Erkenntnisproblem gelöst. Dieses Model hat einige unangenehme Eigenschaften beispielsweise bzgl. der gleichzeitigen Messung nicht kompatibler Observabler. Nun, das kommt auch in anderen Bereichen vor und ist aber deshalb noch keine prinzipielle Beschränkung der Erkenntnis.
Und es gibt ein „Messproblem“. Das ist kein praktisches Problem, aber ein konzeptionelles Problem, das seit Jahrzehnten noch ungelöst ist. Diese Lücke in der Erkenntnis ist noch zu schließen.