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Ein Labyrinth am Rande der Gesellschaft

Ein Labyrinth am Rande der Gesellschaft

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Auf dem Boden eines ehemaligen Militärstützpunktes aus dem 19. Jahrhundert wurde die Kowloon Walled City in den Wirren nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Ort am Rande der Gesellschaft, der durch seine dichte Population und isolierte Existenz in die moderne Geschichte Chinas einging. Laut Schätzungen betrug die Zahl der Einwohner bis zu 50.000, die auf einer Grundfläche von nur 2,5 Hektar in illegalen Behausungen in einer eigenen Stadt innerhalb Hong Kongs dicht aneinander gedrängt lebten.

 

Eine illegale Stadt ohne Gesetze und ohne Licht

Durch die Tatsache, dass weder die chinesischen noch die britischen Behörden in den Entwicklungsprozess der Kowloon Walled City eingriffen, mussten von den dort ansässigen Bewohnern auch keine Steuern bezahlt werden. Dies hatte zur Folge, dass sich vor allem verarmte Menschen, Aussteiger, Kriminelle und Flüchtlinge an diesem Ort im Niemandsland niederließen. Die stetig wachsende Zahl an illegalen Einwohnern brachte eine Siedlung zustande, die ohne eigentliche Infrastruktur allmählich zu einer Stadt zusammenwuchs. Die Menschen, die zuzogen, bauten ihre Wohnungen an die bereits existierenden Gebäude an, ohne auf architektonische Pläne oder Verfahren zurückzugreifen. So kam allmählich ein Labyrinth zusammen, das immer mehr Menschen beherbergte. Die Außenfassaden der rund 300 Hochhäuser der Kowloon Walled City erinnerten in ihrem abweisenden Aussehen tatsächlich an die ursprünglichen Mauern der Festung, die an ihrem Platz gestanden hatte. Wohnraum in der Kowloon Walled City war kostbar. Nur wenige Einwohner konnten es sich leisten, auf zehn bis zwanzig Quadratmetern zu leben. Der Großteil der Menschen hauste hier auf durchschnittlich vier Quadratmetern.

Die vermauerten Straßen und Wohnungen wurden durch die extreme Verbauung zu unterirdischen Gängen und Höhlen ohne Tageslicht, die mit fluoreszierenden Lampen erhellt wurden mussten. Der Strom wurde mit illegalen Kabeln aus dem Umland angezapft, der Müll wurde auf den Dächern entsorgt, was zu katastrophalen hygienischen Zuständen und Rattenbefall führte.

 

Ein Regelsystem des organisierten Verbrechens

Durch den Mangel an Legislative und Exekutive wurde die vermauerte Stadt bald zu einem Anziehungspunkt für Kriminelle, Prostituierte und Drogenabhängige. Die Triaden, die Clans des chinesischen organisierten Verbrechens, regelten bis Mitte der Siebzigerjahre das alltägliche Leben und trieben Schutzgelder ein. Die zahlreichen Bordelle, Orte des illegalen Glücksspiels und die Opiumhöhlen, die sich seit den Fünfzigerjahren hier angesiedelt hatten, wurden immer wieder Schauplätze von Razzias der Polizei, bis man in den Achtzigerjahren verkündete, das Verbrechen halbwegs unter Kontrolle gebracht zu haben. Trotz der kriminellen Aktivitäten bauten die Einwohner der illegalen Stadt ein einzigartiges soziales Gefüge auf, das in seiner Struktur der Welt außerhalb ihrer Mauern ähnlich und von einem großen Zusammenhalt geprägt war. Illegale Arztpraxen und Gemeinschaftszentren wurden ebenso eingerichtet wie Tempel zur Ausübung der verschiedenen Religionen wie Buddhismus oder Taoismus.

 

Zwangsräumung eines Labyrinths der Gestrandeten

Der schlechte Zustand der Gebäude sowie die katastrophalen Lebensbedingungen zwangen die chinesischen und britischen Behörden jedoch zu einer Lösung der Situation. Im Jänner 1987 wurde die Zwangsräumung der Kowloon Walled City beschlossen. Die Stadtverwaltung von Hong Kong brachte umgerechnet 350 Millionen US-Dollar auf, um die Einwohner für den Verlust ihrer Existenzen zu entschädigen. Nach dem zwischen 1993 und 1994 erfolgten Niederreißen der Hochhäuser wurde im Jahr 1995 der Kowloon Walled City Park errichtet.

 

Ein legendärer Schauplatz

Die weltweit einzigartige Atmosphäre der Kowloon Walled City war in den Jahrzehnten vor ihrer Zerstörung durch die Stadtregierung oftmals Gegenstand literarischer Abhandlungen wie Autobiographien und Reiseberichten. Darüber hinaus diente die Kowloon Walled City auch als Filmkulisse und Inspiration für animierte Filme und Videospiele.

 

Foto: Wikipedia

Redaktion, 23.01.2014