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Kann man die Krise besser mit einem Partner/Partnerin zusammen durchstehen?

Kann man die Krise besser mit einem Partner/Partnerin zusammen durchstehen?

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Wir haben bei unserem Beziehungsexperten, Psychotherapeut Dr. med. Stefan Woinoff, nachgefragt. Das große Interview in 5 Teilen.

Hier stellen wir jede Woche neue Fragen an Dr. Woinoff rund um die Themen Partnersuche, Liebe und Beziehungen und teilen seine Antworten und wertvolle Tipps für alle auf der Suche nach einem neuen Partner.

 

50plus-Treff: Dr. Woinoff, welche Rolle spielen die derzeitigen Krisen bei der Partnersuche?

 

Während des Corona-Lockdowns hat eine ältere Patientin von mir ihre große Liebe gefunden. Sie haben sich online kennengelernt, bei den ersten persönlichen Treffen hielten sie sich strikt an die Abstandsregeln, haben lange Spaziergänge gemacht und gute Gespräche geführt. Irgendwie schön romantisch und altmodisch. Hier hatte das retardierende Moment der Abstandsregeln einen positiven Effekt auf die Entstehung von Verliebtheit auf beiden Seiten.

 

Bei einer anderen, alleinlebenden Patientin hat die Home-Office-Pflicht in der Corona-Zeit ihre Einsamkeit sehr verstärkt. Sie erzählte mir unter Tränen, dass sie nie gedacht hätte, dass ihr die wenigen Berührungen beim Begrüßen und Verabschieden ihrer Kollegen und Kolleginnen in der Arbeit abgehen würden. Jetzt, im Home-Office, würde sie gar niemand mehr berühren. Daraufhin suchte sie allerdings verstärkt weiter. Ihr Leidesdruck als Single war gestiegen.

 

Ich beobachte aber auch allgemeine Effekte der derzeitigen Krisen auf die Partnersuche und auch auf die Kriterien der Partnerauswahl. Nicht wenige Menschen haben auf die Pandemie-Krise, die ohne Verschnaufpause in die neue Krise durch den Krieg in der Ukraine überging, mit einer Bedrückung, einer Art subdepressiven Phase reagiert, die auch den Antrieb und die allgemeine Lebenslust reduziert hat. In so einer emotionalen Situation ist zwar der Druck größer, Geborgenheit und Sicherheit in einer Partnerschaft zu finden, die Energie für eine Partnersuche ist aber geringer. Daher warten Einige mit der Partnersuche ab, bis die gefühlte Krise vorbei ist - oder sie sich daran gewöhnt haben.

 

Weiter habe ich den Eindruck, dass die Kriterien bei der Partnerwahl mehr in Richtung Sicherheit, Stabilität und Vertrauen gehen und weniger in Richtung Abenteuerlust und Ausleben unerfüllter Wünsche. So wie in der Ukraine selbst sehr archaisch die Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht werden und die Männer an die Front müssen, so scheinen mir die archaischen Partnerwahlkriterien, bei denen der Mann die finanzielle und die Frau die emotionale Sicherheit bietet, wieder mehr im Kommen. Das mag aber ein subjektiver Eindruck sein.

 

 

50plus-Treff:  Kann man die Krise besser mit einem Partner/Partnerin zusammen durchstehen? Soll man vor allem jetzt auf Partnersuche gehen? 

 

Ich höre häufiger die Frage nach dem Sinn einer zukunftsorientierten Lebensplanung in den heutigen, „unsicheren“ Zeiten: „Kann man in diese Welt noch ein Kind setzen?“, „Macht Liebe heutzutage noch Sinn?“ etc. Gerne antworte ich dann mit dem Lutherspruch: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“. Also Hoffnung auf und Glaube an eine gute oder sogar bessere Zukunft, und auch an das Gute im Menschen, entgegen allen (aktuellen) Krisen.

 

Denn gerade jetzt, in Zeiten der Krisen, ist eine Partnerschaft, in der man sich gegenseitig auch unterstützt, das Beste, was einem passieren kann. Geteilte Freude ist doppelte Freude, aber geteiltes Leid ist nur halbes Leid!

 

Das Problem ist, dass viele in den Zeiten der Krisen keine überflüssige Energie mehr zur Verfügung haben, die man aber braucht, um auf Partnersuche zu gehen. Viele Singles hätten jetzt gerne schon einen Partner bzw. Partnerin, aber die Kraft für eine neue Partnersuche bringen sie gerade nicht auf. Das ist verständlich, und gerade da hilft die online-Partnersuche, weil man sie bequem von zu Hause aus machen kann und wenig Aufwand bedeutet. Und gerade die Sehnsucht nach einem sicheren Hort in einer Partnerschaft hilft, die nötige Motivation für eine vergleichbar einfache Partnersuche in einem online-Portal zu beginnen.

 

Prinzipiell höre ich häufig Gründe, warum gerade jetzt die Suche nach einem Partner/einer Partnerin nicht sinnvoll ist: Zu viel Stress in der Arbeit, Unzufriedenheit mit sich selbst („ … erst muss ich 5 Kilo abnehmen, dann …“) etc. Ich lasse alle diese Gründe nicht gelten und versuche die Angst dahinter zu erkennen. Meist ist es die Angst vor Ablehnung, aber auch die Angst, dass sich das alltägliche Unglück, in dem man sich häuslich eingerichtet hat und an das man sich gewöhnt hat, ändern könnte.

 

Meine Botschaft lautet dann: “Genau so, wie Sie jetzt sind und wie Sie jetzt leben, sind Sie genau richtig für ihren künftigen Partner/ihre künftige Partnerin. Verlieren Sie also keine Zeit, irgendetwas zu optimieren, zu verändern etc. Das geht sowieso besser und viel leichter mit einem Partner/einer Partnerin an Ihrer Seite. Und vielleicht sind ja die aktuellen Krisenzeiten genau der richtige Zeitpunkt, den oder die Richtige/n zu finden“.

 

 

 

Foto: (c) Dr. med. Stefan Woinoff Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

 

Marianna, 08.09.2022